FISCH&FLEISCH

11.03.17–19.03.17 Nemanja Šarbajić
Nino Maaskola
Vernissage:
Freitag, 10.3.
ab 19 Uhr
Finissage:
Sonntag, 19.3.
ab 19 Uhr

Öff­nungszeit­en siehe Info.

FISCH

Es ist das Pan­ta Rhei: alles fließt (aus dem Alt­griechis­chen πάντα ῥεῖ), nach der Flus­slehre des Her­ak­lit, nichts bleibt erhal­ten. Es ist das Omnia Mutan­tur: alles verän­dert sich, nach den Meta­mor­pho­sen des Ovid, nichts bleibt das­selbe. Alles Sein ist Wer­den und Verge­hen: Kein Ding, kein Zus­tand bleibt im Uni­ver­sum gle­ich, alles ist per­ma­nen­ter Wan­del. Diese Kraft des Verän­derns ist es, die das Leben und unser Dasein antreiben. Pan­ta Rhei ist das for­mende Urprinzip der Welt – und alles Sein ist ein ewiger Fluss.

Inmit­ten dieser Kos­molo­gie posi­tion­iert sich Nino Maasko­la als Bild­hauer, der sich für den Über­gang eines Dingzu­s­tandes in einen näch­sten fasziniert. Dabei tritt die Bild­hauerei eigentlich in Konkur­renz mit der Welt: Der Kün­stler schafft ein physis­ches Gegenüber, das per se mehr ist als mimetis­che Abbil­dung reellen Daseins. Es ist ein neues Sein für sich. Es ist Mate­r­i­al aus der Welt in der Welt. Wie ist also mit dem Sein umzuge­hen? In seinen Güssen gelingt es Nino Maasko­la, gle­ich einem Alchemis­ten eine Essenz des Seins einz­u­fan­gen: im Nanobere­ich der urersten Hautschicht lässt er den let­zten Wesen­shauch erstar­ren, aus dem ein Tin­ten­fisch in noch weltlich-materiellem Zus­tand bestand. Indem er das Eine in das Andere schmelzen lässt, hält der Kün­stler einen tat­säch­lichen Moment des per­ma­nen­ten Fließens fest: der Kon­flikt der Gegen­sätze, der den Prozess des Wer­den und Wan­delns antreibt, flim­mert erschei­n­ung­shaft auf. So sind die Werke von Nino Maasko­la archäol­o­gis­che Funde aus dem ewigen Fluss; ihre mar­itim-amor­phen For­men bezeu­gen, wie wieder etwas in ein größeres Ganzes überge­gan­gen ist.

Es ist aber auch ein biss­chen Mad Max: zwis­chen Schmelztiegel und flüs­sigem Eisen trifft die fil­igrane Schön­heit auf die Bru­tal­ität des Seins. Um die Seins-Spur herum mate­ri­al­isieren sich schillernde Mond­land­schaften mit Kratern aus purem Sil­ber. In ihrer Befra­gung nach dem Leben, dem Uni­ver­sum und dem ganzen Rest ver­mis­chen sich ein Ave Maria mit Edvard Griegs Halle des Bergkönigs, 2001: Odyssee im Wel­traum trifft auf Meeres­bi­olo­gie. Dabei erzählen sie die Geschichte, wie der Okto­pus auf den Kün­stler und seine erdichtete Wahrheit traf, und ihm die Frage nach seinem ontol­o­gis­chen Sta­tus stellte. Würde sie bei Dou­glas Adams 42 laut­en, nimmt sie bei Nino Maasko­la die bloße Gestalt ein­er Ananas an.

Nino Maasko­la
2009—15 Studi­um und Meis­ter­schüler an der Akademie der bilden­den Kün­ste Karl­sruhe bei Prof. Har­ald Klin­gel­höller.

FLEISCH

Es ist Autopoiesis: das Schaf­fen, Erschaf­fen, Erzeu­gen (aus dem Alt­griechis­chen ποιείν, poieín) von selb­st, aus sich selb­st her­aus (aus dem Alt­griechis­chen αὐτός, autos). Die Natur ist voll davon: autopoi­etis­che Sys­teme durchziehen unseren Kör­p­er, bilden unser Gehirn, weben Tierzellen, span­nen Baumwurzeln, beleben den Wald­bo­den. Autopoiesis ist das all­ge­meine Organ­i­sa­tion­sprinzip des Lebendi­gen. Damit ist es auch mehr als Zufall: es ist das langsame, stetige, mal plöt­zliche, mal stag­nierende Entste­hen aus sich selb­st her­aus, in Reak­tion auf Umwel­treize.

Kaum ein­er hat sich dieses Organ­i­sa­tion­sprinzip inten­siv­er für eine Werkrei­he angeeignet als Neman­ja Šar­ba­jić. Seine Bilder sind Zeu­gen autopoi­etis­ch­er Prozesse, die ihrem eige­nen Zeit­fluss fol­gen und nie zu einem End­stand gelan­gen. Was vor fünf Jahren mit dem Ver­graben roher, wenig bear­beit­eter Lein­wand im Wald­bo­den begann, ist zu ein­er selt­sam mitreißen­den, durch eine undefinier­bare Tiefe vib­ri­eren­den Werkrei­he aus ver­schiede­nen For­mat­en und Ver­satzstück­en gewor­den. Die erdi­gen Spuren und nassen Risse, die sich den ruhen­den Lein­wän­den eingeprägt haben, ließen diese zu Mate­ri­al­trägern der Prozesse wer­den, die den Wald­bo­den bedin­gen. Im näch­sten Schritt sind die Lein­wände den poi­etis­chen Schleifen kün­st­lerischen Schaf­fens zugeschal­tet wor­den: in ein­er end­losen Aneinan­der­rei­hung des Waschens, Trock­nens, Fal­tens, Aufhän­gens, Bear­beit­ens, Verkrumpelns, wieder Waschens, Ver­grabens, Zer­schnei­dens, Span­nens, hat der Kün­stler die Bilder kon­tinuier­lich weit­er entste­hen lassen. So stellen sie keine abgeschlosse­nen End­pro­duk­te dar: Neman­ja Šar­ba­jić wird sie jed­erzeit wiederver­wen­den, neu aus­richt­en, umdrehen, erneut ver­graben, 5 Jahre ruhen lassen, auf die Erleb­nis­ab­schnitte reagieren, die Schleifen wieder­holen. Die Lein­wände bilden daher keine Prozesse ab, son­dern sind selb­st Ele­mente, Teil eines autopoi­etis­chen Sys­tems. Einen Teil bildet der Wald, einen Teil bildet Neman­ja.

In dieser Wesen­sart liegt die vib­ri­erende Tiefe begrün­det, die das Betra­cht­en der Lein­wände so beson­ders macht. Wenn andere Bilder Fen­ster sind, sind die Bilder von Neman­ja Löch­er: sie besitzen eine uner­gründliche Sogkraft, deren in sich ruhende Stille eine wohlwol­lende Erhaben­heit ausstrahlt. Diese erzählt die Geschichte eines lan­gen Reife­prozess­es, aus Autopoiesis und Iter­a­tion, aus Krähen­wald und Nord­beck­e­nate­lier, aus Reak­tion und Stag­na­tion. Man braucht Geduld, um sich dieser Vielschichtigkeit hinzugeben – vielle­icht auch ein biographis­ches Gespür für Zeitlichkeit oder für die Ent­fal­tung von Prozessen. Dann begreift man: es ist kein Ende, es ist nur ein Aus­ruhen. Ein urtiefes Luft­holen. Es ist prozes­suale Stille.

Neman­ja Šar­ba­jić
2005—09 Studi­um an der HBK Braun­schweig. Er ist Mit­be­grün­der der Kün­st­ler­gruppe „Alte Apotheke“ und des „Nord­beck­en-Kollek­tivs“.

Text: Bar­bara Zoé Kiol­bas­sa