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FISCH
Es ist das Panta Rhei: alles fließt (aus dem Altgriechischen πάντα ῥεῖ), nach der Flusslehre des Heraklit, nichts bleibt erhalten. Es ist das Omnia Mutantur: alles verändert sich, nach den Metamorphosen des Ovid, nichts bleibt dasselbe. Alles Sein ist Werden und Vergehen: Kein Ding, kein Zustand bleibt im Universum gleich, alles ist permanenter Wandel. Diese Kraft des Veränderns ist es, die das Leben und unser Dasein antreiben. Panta Rhei ist das formende Urprinzip der Welt – und alles Sein ist ein ewiger Fluss.
Inmitten dieser Kosmologie positioniert sich Nino Maaskola als Bildhauer, der sich für den Übergang eines Dingzustandes in einen nächsten fasziniert. Dabei tritt die Bildhauerei eigentlich in Konkurrenz mit der Welt: Der Künstler schafft ein physisches Gegenüber, das per se mehr ist als mimetische Abbildung reellen Daseins. Es ist ein neues Sein für sich. Es ist Material aus der Welt in der Welt. Wie ist also mit dem Sein umzugehen? In seinen Güssen gelingt es Nino Maaskola, gleich einem Alchemisten eine Essenz des Seins einzufangen: im Nanobereich der urersten Hautschicht lässt er den letzten Wesenshauch erstarren, aus dem ein Tintenfisch in noch weltlich-materiellem Zustand bestand. Indem er das Eine in das Andere schmelzen lässt, hält der Künstler einen tatsächlichen Moment des permanenten Fließens fest: der Konflikt der Gegensätze, der den Prozess des Werden und Wandelns antreibt, flimmert erscheinungshaft auf. So sind die Werke von Nino Maaskola archäologische Funde aus dem ewigen Fluss; ihre maritim-amorphen Formen bezeugen, wie wieder etwas in ein größeres Ganzes übergegangen ist.
Es ist aber auch ein bisschen Mad Max: zwischen Schmelztiegel und flüssigem Eisen trifft die filigrane Schönheit auf die Brutalität des Seins. Um die Seins-Spur herum materialisieren sich schillernde Mondlandschaften mit Kratern aus purem Silber. In ihrer Befragung nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest vermischen sich ein Ave Maria mit Edvard Griegs Halle des Bergkönigs, 2001: Odyssee im Weltraum trifft auf Meeresbiologie. Dabei erzählen sie die Geschichte, wie der Oktopus auf den Künstler und seine erdichtete Wahrheit traf, und ihm die Frage nach seinem ontologischen Status stellte. Würde sie bei Douglas Adams 42 lauten, nimmt sie bei Nino Maaskola die bloße Gestalt einer Ananas an.
Nino Maaskola
2009—15 Studium und Meisterschüler an der Akademie der bildenden Künste Karlsruhe bei Prof. Harald Klingelhöller.
FLEISCH
Es ist Autopoiesis: das Schaffen, Erschaffen, Erzeugen (aus dem Altgriechischen ποιείν, poieín) von selbst, aus sich selbst heraus (aus dem Altgriechischen αὐτός, autos). Die Natur ist voll davon: autopoietische Systeme durchziehen unseren Körper, bilden unser Gehirn, weben Tierzellen, spannen Baumwurzeln, beleben den Waldboden. Autopoiesis ist das allgemeine Organisationsprinzip des Lebendigen. Damit ist es auch mehr als Zufall: es ist das langsame, stetige, mal plötzliche, mal stagnierende Entstehen aus sich selbst heraus, in Reaktion auf Umweltreize.
Kaum einer hat sich dieses Organisationsprinzip intensiver für eine Werkreihe angeeignet als Nemanja Šarbajić. Seine Bilder sind Zeugen autopoietischer Prozesse, die ihrem eigenen Zeitfluss folgen und nie zu einem Endstand gelangen. Was vor fünf Jahren mit dem Vergraben roher, wenig bearbeiteter Leinwand im Waldboden begann, ist zu einer seltsam mitreißenden, durch eine undefinierbare Tiefe vibrierenden Werkreihe aus verschiedenen Formaten und Versatzstücken geworden. Die erdigen Spuren und nassen Risse, die sich den ruhenden Leinwänden eingeprägt haben, ließen diese zu Materialträgern der Prozesse werden, die den Waldboden bedingen. Im nächsten Schritt sind die Leinwände den poietischen Schleifen künstlerischen Schaffens zugeschaltet worden: in einer endlosen Aneinanderreihung des Waschens, Trocknens, Faltens, Aufhängens, Bearbeitens, Verkrumpelns, wieder Waschens, Vergrabens, Zerschneidens, Spannens, hat der Künstler die Bilder kontinuierlich weiter entstehen lassen. So stellen sie keine abgeschlossenen Endprodukte dar: Nemanja Šarbajić wird sie jederzeit wiederverwenden, neu ausrichten, umdrehen, erneut vergraben, 5 Jahre ruhen lassen, auf die Erlebnisabschnitte reagieren, die Schleifen wiederholen. Die Leinwände bilden daher keine Prozesse ab, sondern sind selbst Elemente, Teil eines autopoietischen Systems. Einen Teil bildet der Wald, einen Teil bildet Nemanja.
In dieser Wesensart liegt die vibrierende Tiefe begründet, die das Betrachten der Leinwände so besonders macht. Wenn andere Bilder Fenster sind, sind die Bilder von Nemanja Löcher: sie besitzen eine unergründliche Sogkraft, deren in sich ruhende Stille eine wohlwollende Erhabenheit ausstrahlt. Diese erzählt die Geschichte eines langen Reifeprozesses, aus Autopoiesis und Iteration, aus Krähenwald und Nordbeckenatelier, aus Reaktion und Stagnation. Man braucht Geduld, um sich dieser Vielschichtigkeit hinzugeben – vielleicht auch ein biographisches Gespür für Zeitlichkeit oder für die Entfaltung von Prozessen. Dann begreift man: es ist kein Ende, es ist nur ein Ausruhen. Ein urtiefes Luftholen. Es ist prozessuale Stille.
Nemanja Šarbajić
2005—09 Studium an der HBK Braunschweig. Er ist Mitbegründer der Künstlergruppe „Alte Apotheke“ und des „Nordbecken-Kollektivs“.
Text: Barbara Zoé Kiolbassa