All The Things She Said: Karaoke Lecture
Sun, 7/16 5–6 pm
Wer sich das letzte Mal die Nase geputzt hat und ob der Sanftheit 4‑lagiger super-soft Taschentücher erleichtert war, weiß: Softis sind besser als Tempos, der süße Samojeden-Welpe aus der Werbung zieht mehr als die laut niesenden Klitschko Brüder. Dennoch ist SOFT chronisch underrated, die Pornographie belächelt das Softcore-Genre als „Middlebrow“ [Wikipedia: easily accessible art, usually literature, and the people who use the arts to acquire culture and „class“ (social prestige)] und der Kapitalismus schwört auf Konjunktur durch asiatische Hardware Produktionen. In einer Welt des Business, voller Tempos und billiger Hartschalen-Handyhüllen, müssen wir mal innehalten und aufhören, immer nur mechanisch funktionieren zu wollen. Zückt eure Regina Softis Packungen: es gilt, eine Ode an die Weichheit zu schmettern. Wir wollen mehr stolz verweinte Taschentücher, wir wollen mehr ausgelebtes Gefühl, wir wollen mehr innbrünstige Liebe. In einer Welt der Wasserwerfer und der eisigen postdemokratischen Verhandlungen, in welcher Grenzmauern aus geschichtetem Teer hinaufbeschworen werden und rechtspopulistische Tags die Echokammern des Digitalen verkrusten lassen, vergisst man nur zu schnell: wir haben alle eine weiche Seite. Im Grunde sehnt sich jeder nach ein bisschen Sanftheit. Anstatt tough zu sein müsste unser Motto also lauten: Embrace your inner SOFT CORE. Auch hart gekochte Eier sind weich.
Dass die Weichheit in keinem Kontrast zum Harten steht, das lehrt uns bereits die Technikgeschichte des Computers: keine Hardware ohne Software und andersrum, kein Mac OS ohne MacBook Pro, kein Fairphone ohne Android 6.0 Marshmallow. In den 1950ern war dieses Wissen noch Gang und Gebe – auch Atari verkörperte noch Betriebssystem und Gerät als Einheit. Erst eine Entscheidung der US-Regierung in den späten 1970ern verlangte als Rechnungsregelung für IBM, das Harte vom Weichen zu trennen, und verstärkte dadurch eine unnötig tiefgreifende Spaltung der Gesellschaft.
Diese Spaltung wird im Film Numéro Deux (1975) von Jean-Luc Godard verhandelt, wenn er dem voyeuristischen Zuschauerauge mit Splitscreens die unterschiedlichen Empfindungsweisen seiner Charaktere näherbringt. Kinderliebe, Körperlichkeit, Sodomie, Romanze und Arbeitslosigkeit: Vermeintliche Gegensätze und Dualitäten finden über getrennte Monitore statt, spielen sich aber doch im selben Raum, in derselben kommentierten Diegese ab. Inwiefern die Gespaltenheit demnach womöglich eine vermeintliche ist, stellt IRA KONYUKHOVA zur Disposition, wenn sie Godard’s essayistische Montage umdichtet und weiterästhetisiert. So zerfällt auch die Vorstellung, dass das Weiche und Sanfte weiblich konnotiert sein muss, als bloße Konstruktion. Die fließenden Übergänge zwischen mehreren Aspekten einer Einheit macht BRITTA KIRST inmitten von wallendem Haar nachvollziehbar – ob weich oder hart, ob Mann oder Frau, ob Softi oder Tempo, diese unnötige Entscheidung bleibt in der einheitlichen Grundform des Hinterkopfes ungelöst. So ist die Ausstellung SOFT CORE ein Plädoyer fürs Liebhaben, fürs Sich Selbst Sein, für weichere Fronten und für mehr Taschentücher. Embrace your hard shell and your soft core – egal wie alt, woher, ob iOS oder Android, ob Lenovo oder Dell.
Barbara Kiolbassa
Britta Kirst (*1979 in Magdeburg) lernte klassische Fotografie in Braunschweig und Stuttgart. Nach einem abgebrochenen Sinologiestudium in Leipzig zog es sie nach Mannheim um in Mainz u.a. bei Peggy Buth und Judtih Samen künstlerische Fotografie zu studieren, das aber mit Inbrunst zu Ende. Sie beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit Fotografie und Schrift in Wechselwirkung. Auch vertraut sie der reinen Fotografie nicht so ganz und bearbeitet sie deshalb gerne bis zur erwünschten Aussagefähigkeit. Bei der Präsentation ist ihr das Zusammenwirken mit dem Raum unerlässlich.
Ira Konyukhova (*1984 in Tver, Russland) studierte Physik in Moskau und Bildende Kunst in Mainz, Reykjavik und an der HfG Karlsruhe. Im Januar 2017 absolvierte sie ihr Studium bei den Prof. Joao Tabarra, Prof. Razvan Radulescu und Prof. Anja Dorn. Sie war eine Stipendiatin von Deutschlandstipendium (2013), erhielt den Film- und Medienförderpreis von Rheinland-Pfalz (2014) und nahm an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland teil. Ihre Filme und Videoarbeiten wurden auf der Athener Biennale 2016, dem GoEast Film Festival, dem Espacio Media Art Festival Teneriffa, dem DocLisboa, dem Antimatter Media Art Festival, dem visionXsound Media Art Festival und dem Museum Heylshof gezeigt. Sie arbeitet mit Video, Installation und Fotografie. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich mit den medial vermittelten Bildern, die oft einen unspektakulären alltäglichen Charakter haben und in einem politischen Kontext betrachtet werden.