Soft Core

07/08/17–07/16/17 Britta Kirst
Ira Konyukhova
Vernissage:
Friday, Jul 7
at 7 pm
Finissage:
Sunday, Jul 16
at 7 pm

All The Things She Said: Karaoke Lec­ture
Sun, 7/16 5–6 pm

Exhi­bi­tion views

 

Wer sich das let­zte Mal die Nase geputzt hat und ob der San­ftheit 4‑lagiger super-soft Taschen­tüch­er erle­ichtert war, weiß: Soft­is sind bess­er als Tem­pos, der süße Samo­je­den-Welpe aus der Wer­bung zieht mehr als die laut niesenden Klitschko Brüder. Den­noch ist SOFT chro­nisch under­rat­ed, die Pornogra­phie belächelt das Soft­core-Genre als „Mid­dle­brow“ [Wikipedia: eas­i­ly acces­si­ble art, usu­al­ly lit­er­a­ture, and the peo­ple who use the arts to acquire cul­ture and „class“ (social pres­tige)] und der Kap­i­tal­is­mus schwört auf Kon­junk­tur durch asi­atis­che Hard­ware Pro­duk­tio­nen. In ein­er Welt des Busi­ness, voller Tem­pos und bil­liger Hartschalen-Handy­hüllen, müssen wir mal innehal­ten und aufhören, immer nur mech­a­nisch funk­tion­ieren zu wollen. Zückt eure Regi­na Soft­is Pack­un­gen: es gilt, eine Ode an die Weich­heit zu schmettern. Wir wollen mehr stolz ver­weinte Taschen­tüch­er, wir wollen mehr aus­gelebtes Gefühl, wir wollen mehr innbrün­stige Liebe. In ein­er Welt der Wasser­w­er­fer und der eisi­gen post­demokratis­chen Ver­hand­lun­gen, in welch­er Grenz­mauern aus geschichtetem Teer hin­auf­beschworen wer­den und recht­spop­ulis­tis­che Tags die Echokam­mern des Dig­i­tal­en verkrusten lassen, ver­gisst man nur zu schnell: wir haben alle eine weiche Seite. Im Grunde sehnt sich jed­er nach ein biss­chen San­ftheit. Anstatt tough zu sein müsste unser Mot­to also laut­en: Embrace your inner SOFT CORE. Auch hart gekochte Eier sind weich.

Dass die Weich­heit in keinem Kon­trast zum Harten ste­ht, das lehrt uns bere­its die Tech­nikgeschichte des Com­put­ers: keine Hard­ware ohne Soft­ware und ander­srum, kein Mac OS ohne Mac­Book Pro, kein Fair­phone ohne Android 6.0 Marsh­mal­low. In den 1950ern war dieses Wis­sen noch Gang und Gebe – auch Atari verkör­perte noch Betrieb­ssys­tem und Gerät als Ein­heit. Erst eine Entschei­dung der US-Regierung in den späten 1970ern ver­langte als Rech­nungsregelung für IBM, das Harte vom Weichen zu tren­nen, und ver­stärk­te dadurch eine unnötig tief­greifende Spal­tung der Gesellschaft.

Diese Spal­tung wird im Film Numéro Deux (1975) von Jean-Luc Godard ver­han­delt, wenn er dem voyeuris­tis­chen Zuschauer­auge mit Splitscreens die unter­schiedlichen Empfind­ungsweisen sein­er Charak­tere näher­bringt. Kinder­liebe, Kör­per­lichkeit, Sodomie, Romanze und Arbeit­slosigkeit: Ver­meintliche Gegen­sätze und Dual­itäten find­en über getren­nte Mon­i­tore statt, spie­len sich aber doch im sel­ben Raum, in der­sel­ben kom­men­tierten Diegese ab. Inwiefern die Ges­pal­tenheit dem­nach wom­öglich eine ver­meintliche ist, stellt IRA KONYUKHOVA zur Dis­po­si­tion, wenn sie Godard’s essay­is­tis­che Mon­tage umdichtet und weit­eräs­thetisiert. So zer­fällt auch die Vorstel­lung, dass das Weiche und San­fte weib­lich kon­notiert sein muss, als bloße Kon­struk­tion. Die fließen­den Übergänge zwis­chen mehreren Aspek­ten ein­er Ein­heit macht BRITTA KIRST inmit­ten von wal­len­dem Haar nachvol­lziehbar – ob weich oder hart, ob Mann oder Frau, ob Softi oder Tem­po, diese unnötige Entschei­dung bleibt in der ein­heitlichen Grund­form des Hin­terkopfes ungelöst. So ist die Ausstel­lung SOFT CORE ein Plä­doy­er fürs Lieb­haben, fürs Sich Selb­st Sein, für weichere Fron­ten und für mehr Taschen­tüch­er. Embrace your hard shell and your soft core – egal wie alt, woher, ob iOS oder Android, ob Leno­vo oder Dell.

Bar­bara Kiol­bas­sa

 

 

Brit­ta Kirst (*1979 in Magde­burg) lernte klas­sis­che Fotografie in Braun­schweig und Stuttgart. Nach einem abge­broch­enen Sinolo­gi­es­tudi­um in Leipzig zog es sie nach Mannheim um in Mainz u.a. bei Peg­gy Buth und Judtih Samen kün­st­lerische Fotografie zu studieren, das aber mit Inbrun­st zu Ende. Sie beschäftigt sich in ihren Arbeit­en mit Fotografie und Schrift in Wech­sel­wirkung. Auch ver­traut sie der reinen Fotografie nicht so ganz und bear­beit­et sie deshalb gerne bis zur erwün­scht­en Aus­sage­fähigkeit. Bei der Präsen­ta­tion ist ihr das Zusam­men­wirken mit dem Raum uner­lässlich.

Ira Konyukho­va (*1984 in Tver, Rus­s­land) studierte Physik in Moskau und Bildende Kun­st in Mainz, Reyk­javik und an der HfG Karl­sruhe. Im Jan­u­ar 2017 absolvierte sie ihr Studi­um bei den Prof. Joao Tabar­ra, Prof. Raz­van Rad­ules­cu und Prof. Anja Dorn. Sie war eine Stipen­di­atin von Deutsch­land­stipendi­um (2013), erhielt den Film- und Medi­en­förder­preis von Rhein­land-Pfalz (2014) und nahm an zahlre­ichen Ausstel­lun­gen im In- und Aus­land teil. Ihre Filme und Videoar­beit­en wur­den auf der Athen­er Bien­nale 2016, dem GoEast Film Fes­ti­val, dem Espa­cio Media Art Fes­ti­val Tener­if­fa, dem DocLis­boa, dem Anti­mat­ter Media Art Fes­ti­val, dem visionX­sound Media Art Fes­ti­val und dem Muse­um Heyl­shof gezeigt. Sie arbeit­et mit Video, Instal­la­tion und Fotografie. In ihren Arbeit­en beschäftigt sie sich mit den medi­al ver­mit­tel­ten Bildern, die oft einen unspek­takulären alltäglichen Charak­ter haben und in einem poli­tis­chen Kon­text betra­chtet wer­den.